Die Kunst der Projektion
Wie ein Fresko erschien die Videoinstallation von Quayola. Die digitale Animation von historischen Kunst- und Architekturwerken verwob sich mit der Fassade, auf die sie projiziert wurde, so dass die Fassade selbst in Bewegung zu geraten schien. Die Architektur-Mappings von Hartung und Trenz, Klaus Obermaier und Refik Anadol zeigten, wie Künstler und Designer Interventionen entwickeln können, die das Potential der medientechnischen Optionen kennen, ohne sich im spielerischen Umgang mit ihnen zu verlieren.
Refik Anadol nahm die Struktur und Farbigkeit der ausgewählten Fassade auf und transformierte sie in eine transparent erscheinende und dynamische Oberfläche. Hartung und Trenz zeigten Texturen, die die Kubatur des Allen-Hauses nachzeichneten und Klaus Obermaier adaptierte seine interaktive Arbeit „Dancing House“ für die Knapper Schule. Dafür wurde er mit dem Lichtrouten-Preis 2013 ausgezeichnet.
Wege des Lichtes
In den Arbeiten von Atsara, Jakob Mattner, Rainer Plum und Diana Ramaekers wurden die Wege, die das Licht nimmt, zum Gegenstand der künstlerischen Untersuchung und zum Material des Werkes. Reflektiert von Draht, Spiegeln, Folie, Wasser oder Nebel entstanden Lichtbilder, visuelle Volumina und Lichtbewegungen, die das Licht in den ihm eigenen Qualitäten zeigte. Die ephemeren Gebilde faszinierten durch ihre kompositorischen Qualitäten und ihren perfekten Raumbezug.
Sie zeigten wie sich Licht – für sich betrachtet – der visuellen Erfahrung entzieht und erst im Zusammenspiel mit Zeit, Raum, Interieur und Personal durch Projektion und Reflexion Kaleidoskope aus sichtbaren Flecken, Farben, Formen und Dynamiken entstehen, die sich je nach Linsensystem – ob in einem Auge oder in einer Kamera – verändern.
Fokus der Videoinstallation einer überlebensgroßen Augenpartie eines Jungen in einer dunklen, leeren Halle von Dieter Kiessling war das menschliche Sehen. Öffnen und Schließen der Augen zeigte er als Schaltstelle zwischen Lichteinfall und Sehimpuls und Nachbild und Verarbeitung im Bewusstsein. Auch Jürgen Albrecht thematisierte die menschliche Wahrnehmung und ihre gedankliche Fortführung in modellhaften Räumen.
Das Anliegen der Kuratoren Bettina Pelz und Tom Groll war es, die Vielfalt der Kunst der Projektion und ihre wechselseitigen Bezüge zu zeigen. Mit den Arbeiten von Dieter Kiessling und Jürgen Albrecht wurde neben dem sichtbaren Licht und seiner Transformation in den Prozessen der Wahrnehmung auch der gedachte Raum (als gedankliche „Projektion“) Teil der Lichtrouten-Erfahrung.
Historisches Material in zeitgenössischem Kontext
Die historischen Arbeiten von László Moholy-Nagy und Nicolas Schöffer sowie die WGBH-TV-Produktion mit Allan Kaprow, Nam June Paik, Otto Piene, James Seawright, Thomas Tadlock und Aldo Tambellini thematisierten die Genese von Bildern ebenso wie die Bedingungen der Wahrnehmung und ihre Irreführung. Im Flimmern der Schatten, Projektionen und Reflexionen zeigen sich die Bewegungen des Lichts. Jede Veränderung der Lichtquelle, ob in Material, Technik, Farbe oder Position, veränderte die Erscheinungsform der Dinge, auf die es fiel.
Robert Sochacki orientierte sich an der Ästhetik der ersten Foto- und (Farb-) Filmwerke und zeigte seine Collagen als Fassadenprojektionen mit einer Mischung aus historischen Großbilddiaprojektionen und zeitgenössischer, digitaler Projektionstechnik. Dabei zitierten die filmischen Bausteine in ihrer Erscheinungsform die historischen Aufnahmen und, ebenso reziprok, erschienen die Diaprojektionen in ihrer Farbigkeit und Prägnanz sehr zeitgemäß.
Ausgangspunkt für die erste Außeninstallation von Christoph Girardet war ebenfalls historisches Filmmaterial. Er zeigte in einer Drei-Kanal-Projektion eine Komposition der Schlüsselszenen aus deutschen Heimatfilmen der 1950er und 1960er Jahre, die deren austauschbare Bildwelten als skurril und absurd vorführte. Der Kreis der Arbeiten mit Bezug zum Lichtspiel „Film“ wurde geschlossen von einer Fotodokumentation von Joseph O. Holmes, der die aussterbende Zunft der Filmvorführer und ihrer Arbeitsplätze zeigte.
Fasziniert war das Publikum auch von den Miniaturzeichnungen von Katharina Berndt und Vollrad Kutscher, die durch ihre Projektion vergrößert und in ihren Details erkennbar wurden.
Faszinierende Imagination
Die ortspezifische Arbeit von Max Sudhues, der eine Industriehalle kurz von ihrem Abriss zum Gegenstand ästhetischer Betrachtungen machte, zeigte, wie sich Lichtarbeiten nur in dem perfekt tarierten Zusammenspiel von Licht und Dunkel, Zeit und Raum, Absorption und Reflexion offenbaren und wie im Arbeiten mit Licht eine Abstraktion entsteht, die von allen anderen Fragen als denen der Sichtbarkeit absieht.
Die Installationen der Lichtrouten zeigten wie sich im Zusammenspiel von Licht und Wahrnehmung die Erscheinungsform der Dinge formt. Die Nachtwanderungen erzeugen ein Verständnis vom Licht und führen zu einem dialogischen Denken, in dem Nichts ohne das je Andere denkbar ist. Die Lichtrouten zeigten Kunst und Design als Erfindung, Bildung und Evaluation von Bildern und ihren Welten sowie das projizierte Bild als wesentlichen Teil der visuellen Kultur des 21. Jahrhunderts.
Die Imagination, die Welt anders zu sehen als sie wirklich ist oder als sie wirklich zu sein scheint, ist ein Privileg von Lichtkunst und Lichtdesign, das in den Installationen der Lichtrouten erkennbar, erlebbar und verstehbar wurde.
Eine Dokumentation ist in Vorbereitung und soll bald auf der Webseite der Lichtrouten www.lichtrouten.de eingesehen werden können.