Der biologische Rhythmus aller Lebewesen hat sich im Verlauf der Evolution dem natürlichen Verlauf von Tag und Nacht angepasst. Die innere Uhr und damit die Steuerung der Schlaf- und Wachphasen wird dabei maßgeblich durch das Tageslicht gesteuert. Halten sich Menschen vorrangig im Freien auf bekommen sie durch den natürlichen Tageslichtverlauf genau das Licht, das der Körper benötigt: helles, kaltweißes Licht mit hohem Blauanteil morgens und tagsüber sowie weniger helles, warmweißes gelb-rötliches Licht ohne Blauanteile am Abend.
Das Problem: In unserer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft halten sich die meisten Menschen etwa 90 Prozent des Tages in geschlossenen Räumen mit künstlichem Licht auf. Das gilt bereits für junge Menschen, die während ihrer gesamten Ausbildungsphase, von der Schule über den Ausbildungsbetrieb bis hin zur Universität tagsüber viel Zeit in meist dürftig beleuchteten Unterrichts- und Seminarräumen oder Hörsälen verbringen.
Wie sehr der Lauf von Tag und Nacht den so genannten circadianen Rhythmus bestimmen, der eigentlich voll und ganz auf das Leben unter freiem Himmel ausgerichtet ist, spüren Menschen nicht nur nach einem Langestreckenflug, sondern besonders deutlich zweimal im Jahr: Noch Tage nach der Umstellung zwischen Sommer- und Normalzeit fühlen sich viele Menschen unwohl und spüren Folgen, die einem „Mini-Jetlag“ ähneln. Die Umfrage in der Europäischen Union, ob die Zeitumstellung abgeschafft werden sollte, hat 2018 daher eine deutliche Mehrheit für eine ganzjährig einheitliche Zeit hervorgebracht.
Das Sonnenlicht als Vorbild
Ein am Menschen orientiertes Lichtkonzept zur Beleuchtung in Gebäuden – genannt „Human Centric Lighting“ (HCL) – kann mit intelligent steuerbaren LED-Lichtsystemen die Charakteristik des natürlichen Tageslichts nachempfinden. Ein wesentlicher Ansatz von HCL ist dabei, soweit wie möglich natürliches Tageslicht zur Beleuchtung zu nutzen und es zu Zeiten und an Orten, wo es fehlt, durch eine am Tageslichtverlauf orientierte künstliche Beleuchtung zu ergänzen.
Architektonische Mittel allein reichen aber meist nicht aus, um gemäß den Grundsätzen von HCL für eine gute Beleuchtung in Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen zu sorgen. Schließlich entstehen bei zu viel direkter Sonneneinstrahlung häufig thermische Probleme, die kosten- und energieaufwändig beseitigt werden müssen. Und mit Blick auf die Beleuchtung stellen sich Blendeffekte ein, die gerade bei der Arbeit mit dem Computer sehr störend sind. Eine gute HCL-Lösung wird also stets versuchen, eine bestmögliche Balance zwischen natürlicher und künstlicher Beleuchtung unter Berücksichtigung der biologischen Lichtwirkung herzustellen.
Zum Start in den Tag bis zur Mittagszeit sowie nach der Mittagspause sollte daher helles, kaltweißes Licht mit hohem Blauanteil verwendet werden – also rund 6.500 Kelvin bei einer Beleuchtungsstärke von rund 300 Lux am Auge. Dafür bietet sich indirektes Licht an, das sowohl Decken als auch Wände einbezieht. Zum Abend hin gilt es auf warmweißes, direktes Licht ohne Blauanteile umzustellen, das dem Körper dabei hilft, sich zu entspannen und auf die Nacht vorzubereiten.
Vielschichtige Lichtwirkungen und Vorteile von HCL im Bildungsbereich
Gerade der Bildungsbereich ist für den Einsatz von HCL sehr gut geeignet. So startet der Unterricht in den meisten Bildungseinrichtungen morgens zu ähnlichen Zeiten. Auch die Raumaufteilung, der Lichteinfall, die Anordnung des Mobiliars und die Blickrichtungen von Lernenden und Lehrenden sind meist sehr ähnlich – nahezu ideale Voraussetzungen für einen breitangelegten Einsatz von HCL.
SSL-erate – ein von der Europäischen Union gefördertes Forschungsprojekt zur Wirkung von Licht unter Beteiligung mehrerer renommierter Universitäten– teilt im Bildungsumfeld die unterschiedlichen Lichtwirkungen und Vorteile von HCL in drei Dimensionen ein.
Direkt messbar bei einer entsprechenden Beleuchtung sind positive Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit und Konzentration. So zeigte sich in einer Feldstudie im Rahmen von SSL-erate, dass sich die Lesegeschwindigkeit von Grundschülern bei aktivierendem, hellem Licht mit hohem Blauanteil um fast 35 Prozent verbesserte. In einer anderen Studie wurden die Konzentration und Daueraufmerksamkeit um rund 30 Prozent gesteigert. Vergleichbare Ergebnisse sind in zahlreichen weiteren Studien bestätigt.
Als nicht direkt messbaren, aber langfristigen Effekt sehen Experten den besseren Schlaf-Wach-Rhythmus der Lernenden. Weil das Gehirn während des Schlafs die Eindrücke des Tages und das neu Gelernte verarbeitet, spielt ein gut austarierter Schlaf-Wach-Rhythmus für den Lernprozess eine zentrale Rolle. Mit Beginn der Pubertät verändert sich dieser Rhythmus bei vielen Teenagern stark. So schlafen sie abends später ein und sind in der Früh nicht fit und dementsprechend weniger aufnahmefähig. Erst Jahre später, oft erst zum Start ins Berufsleben, verändert sich dieses Muster bei den meisten wieder. Wissenschaftler sprechen dabei vom sogenannten "Eulen"-Typ, der gegenüber dem bereits am frühen Morgen aktiven "Lerchen"-Typ im Nachteil ist. Eine Studie mit Studenten im Alter zwischen 20 und 22 Jahren beispielsweise zeigte einen klar positiven Zusammenhang zwischen dem frühen Chronotyp und akademischer Leistung. Insbesondere die „Eulen“ brauchen daher das Tageslicht und eine helle Beleuchtung am Morgen während des Unterrichts. HCL kann hierbei die Wirkung von Tageslicht effektiv unterstützen.
In Zusammenhang mit der EU-weit geplanten Abschaffung der Zeitumstellung ist es daher empfehlenswert, dauerhaft auf Normalzeit, statt auf Sommerzeit umzustellen. Denn die um eine Stunde verlängerte Dunkelphase am Morgen durch Einführung einer durchgängigen Sommerzeit würde gerade im Winter den zuvor beschriebenen Effekt bei den „Eulen“- Chronotypen erheblich verstärken.
Als „3rd order effect“ bezeichnet SSL-erate positive gruppendynamische Effekte, die sich mit Unterstützung eines HCL-Konzeptes in Unterrichtsgruppen einstellen. Durch die individuell gesteigerte geistige Aufmerksamkeit können Lernende dem Unterricht besser folgen und eine insgesamt konzentrierte Lernatmosphäre entsteht. Das senkt den allgemeinen Unruhepegel und fördert die Produktivität. Davon profitieren auch die Lehrer. Bei der Konzeption der HCL-Beleuchtung gilt es auch ihre Position im Raum und ihre Blickrichtung miteinzubeziehen.
Ebenfalls berücksichtigt werden müssen die verschiedenen Arten des gemeinsamen Lernens mit ihrer für eine typische, moderne Lernumgebung großen Vielzahl an verschiedenen „Formaten“. Diese reichen vom klassischen Frontalunterricht, bei dem es auf wenig Ablenkung und maximale Konzentration ankommt über das freie, kreative Gestalten, etwa im Kunst- oder Musikunterricht, bis zur interaktiven Projektarbeit in Gruppen und Präsentationen. Für jede Form des Lernens und Unterrichtens sollte ein HCL-System es ermöglichen, die Beleuchtung individuell der jeweiligen Situation anzupassen.
Die Möglichkeiten von HCL konsequent nutzen
Der reine Betrieb einer HCL-Lösung mit LED-Technologie ist heute nicht teurer als der einer herkömmlichen, modernen LED-Beleuchtung. Schließlich handelt es sich um ein intelligentes System, das Licht nur dorthin liefert, wo es tatsächlich benötigt wird. Die größten Vorteile von HCL zeigen sich jedoch in anderen Bereichen. So hat die renommierte Unternehmensberatung A.T. Kearney in einer Studie von 2015 vor allem kognitive Leistungssteigerungen von Schülern um bis zu 15 Prozent sowie deutlich geringere psychische Belastungen wie Stress und Burnout und damit weniger Krankheitstage bei Lehrern als zentrale, wirtschaftliche Gründe für den Einsatz von HCL aufgeführt.
Angesichts der hohen gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung von Bildung in einer kompetitiven, digitalisierten Welt sind allein dies sehr gute Gründe, HCL im Bildungsbereich möglichst schnell und flächendeckend einzuführen.
Autor: Dieter Lang, HCL-Experte von Ledvance