Gismondis Lebenslauf gleicht einem facettenreichen Kaleidoskop. Bevor er 1960 zusammen mit dem Architekten Sergio Mazza in Mailand das Unternehmen Artemide gründete, hatte er weder Design noch Architektur studiert, sondern Luft- und Raumfahrt- sowie Raketentechnik. Zwischen 1964 und 1984 lehrte Gismondi auch als Professor und Experte für Raketentriebwerke am Polytechnikum Mailand.
Seine Passion für technischen Fortschritt, neuartiger Werkstoffe und Technologien, sein Pioniergeist und Forscherdrang haben wohl hier ihren Ursprung. Vom Griff nach den Sternen zum Aufbau eines der bekanntesten Designleuchten-Herstellers war es nicht weit. Das Ausloten von Einsatzmöglichkeiten neuer Materialien und Technologien ist die Schnittstelle beider Bereiche – und bis heute noch ein wesentlicher Motor der Erfolgsgeschichte von Artemide. Dabei geht es nicht um die Technik an sich, sondern darum, sie für das Bedürfnis der Menschen nach funktionalem Arbeits- und stimmungsvollem Wohlfühllicht zu optimieren. Ein Ansatz, den Ernesto Gismondi und seine Frau Carlotta de Bevilacqua, Geschäftsführerin von Artemide, in den 1990er Jahren als "The Human Light" zur Firmenphilosophie erhoben.
Ein weiteres Momentum seines Wirkens beruht auf Gismondis Idee, renommierte Designer und Architekten an Bord zu holen. So sind aus der Zusammenarbeit von Artemide mit weltweit bekannten Architekten einzigartige Leuchten entstanden.
Namen wie
- Mario Botta,
- Santiago Calatrava,
- Livio Castiglioni,
- Carlo Colombo,
- Michele De Lucchi,
- Richard Sapper,
- Ettore Sottsass,
- Sir Norman Foster,
- Herzog & de Meuron,
- Karim Rachid und
- Bjarke Ingels Group
lesen sich in der Liste seiner kreativen Mitstreiter wie das Who is Who der Architektur- und Design-Legenden. Bis heute prägen die Größen der internationalen Designerszene den Genius der Artemide-Leuchten und sorgen für kulturelle Vielfalt. Auch Gismondi selbst brachte eigene Leuchten heraus, anfangs noch unter dem Pseudonym "Örni Halloween". Discovery Space, Nur, Tetragono, Everything, Ilio und viele weitere stammen aus der kreativen Feder des Artemide-Gründers. Dabei war der ideenreiche Ingenieur stets mit einer guten Portion Provokation bei der Sache, wie zum Beispiel in der Gruppe "Memphis", die in den frühen 1980er Jahren die Einrichtungsbranche mit avantgardistischen, schrill-bunten Entwürfen aufmischte.
Bei Artemide leitete Ernesto Gismondi neben der Produktion auch die Bereiche Handel und Finanzen. Darüber hinaus war er im Industrie- und Arbeitgeberverband, beim Messeveranstalter Cosmit sowie im Ministerium für Unterricht, Universitäten und Forschung aktiv und fungierte als Vizepräsident des Verbandes für Industriedesign (ADI). Für dieses außerordentliche Engagement erhielt Gismondi zahlreiche Auszeichnungen. So wurde er im Jahr 2008 für seine Verdienste in Industrie, Handel, Wissenschaft und Lehre vom italienischen Präsidenten zum "Cavaliere del Lavoro" zum "Ritter der Arbeit" ernannt – eine seiner bedeutsamsten Ehrungen.
Neben "The Human Light" gehören Nachhaltigkeit und Energieeffizienz zu den großen Themen von Artemide. Das Leuchtmittel der Zukunft sah Gismondi in der LED. Mit ihr wurden Innovationen wie Solar Tree erst möglich: Eine von der zentralen Energieversorgung unabhängige Außenleuchte mit Solarpaneelen und LED, die Artemide zusammen mit Ross Lovegrove entwickelt hat. Mit seinem Netzwerk aus Kreativen und einem firmeneigenen Forschungslabor brachte Ernesto Gismondi die Evolution der Lichttechnik weiter voran.
Nicht nur für seine 2015 entstandene Leuchte "Discovery" erhielt er den bedeutendsten italienischen Designpreis "Compasso D’Oro", sondern 2018 auch für sein Lebenswerk. "Als Gründer von Artemide (...) war er während seiner langen Karriere ein Wegbereiter der Kooperation in der Welt des nationalen und internationalen Designs“, heißt es in der Laudatio der Jury. Auf die Frage, warum italienische Ingenieure sensibler für Ästhetik seien als deutsche, beantwortete er bescheiden: "Ach wissen Sie, das ist dieses Medici-Ding."
Am 31. Dezember 2020 ist Ernesto Gismondi im Alter von 89 Jahren verstorben. Mit seinem Pioniergeist und Schaffensdrang, seiner visionären Denkweise und vor allem seiner Menschlichkeit brachte er die Welt zum Leuchten.