Die Fuggereisiedlung in Augsburg wurde 1521 von Jakob Fugger dem Reichen für die "Ewigkeit" für bedürftige Mitbürger gestiftet. Für drei Gebete am Tag und 88 Cent Kaltmiete im Jahr finden die Menschen dort eine sichere Unterkunft und Unterstützung für ein erfülltes selbstbestimmtes Leben in Würde. Nach dem Erwerb von Grundstücken hatte der bedeutende Kaufherr, Montanunternehmer und Bankier 1516 am Rand des Augsburger Stadtzentrums mit dem Bau der Siedlung aus zweigeschossigen Reihenhäusern begonnen. Durch erneute Grundstückskäufe und Erweiterungen, die Jakob Fuggers Nachkommen errichteten, wuchs das Areal auf heute 67 Häuser mit 140 Wohnungen für rund 150 Menschen an.
Fuggerei Next500-Pavillon ist von den Reihenhäusern der historischen Fuggerei inspiriert
Das Jubiläum bot nun Anlass für diverse Aktionen im Herzen Augsburgs, die mit dem temporären Pavillon einen aufmerksamkeitsstarken Auftakt haben sollten. Das Event-Gebäude ist ein langes, schmales giebelständiges Bauwerk, dessen Form von den langen Reihenhäusern der Fuggerei inspiriert ist. Anstelle eines einzelnen geraden Blocks ist jedoch ein Ende des Pavillons gekrümmt und angehoben, um seine Rolle bei der Aussicht auf die zukünftigen Fuggereien in Augsburg und in der ganzen Welt anzudeuten. Dieses angehobene Ende bildet eine 8,5 Meter lange Auskragung, die eine Tribüne für Vorträge, Debatten, Workshops und andere kulturelle Veranstaltungen beherbergt. Das Bauwerk ist vollständig aus Brettsperrholz aus den Fuggerschen Stiftungswäldern gefertigt und stößt mit seiner acht Meter langen Auskragung und den doppelt gekrümmten Elementen an die Grenzen der modernen CLT-Technologie.
Nachhaltigkeit bei Baustoff, Konstruktion und Beleuchtung
Nachhaltigkeit spielte bei der Wahl dieses strukturellen Ansatzes eine entscheidende Rolle. Denn Holz speichert Kohlenstoff, anstatt ihn in die Atmosphäre freizusetzen. Der modulare Aufbau des Pavillons mit Elementen, die aus im CLT-Verfahren kreuzweise verleimten und gepressten Sperrholzplatten gefertigt sind, machen den Pavillon zudem leicht demontierbar, so dass er in einem sozialen oder nachhaltigen Kontext ein zweites Leben haben kann. Großen Wert auf Nachhaltigkeit legte der Bauherr auch bei der Beleuchtung und entschied sich für LED-Licht. Zudem sollte das Kunstlicht dem honigfarbenen Ton des Holzes schmeicheln, den Raum besonders gleichmäßig ausleuchten und in dem ansteigenden Vortragsraum brillantes Licht für gutes Sehen liefern. Zum Einsatz kamen justierbare Spy-Strahler von Delta Light, die an einer im Dachraum abgehängten flexiblen Stromschiene, die der Krümmung des Raumes folgte, montiert waren. Der vordere ebenerdige Raum, in dem die Besucher eine Ausstellung über die "Fuggerei der Zukunft" erleben konnten, wurde von Hedra-Leuchten, die spielerisch in unterschiedlichen Höhen abgependelt waren, erhellt.
Inzwischen wurde das außergewöhnliche Bauwerk aus Holz fachmännisch abgebaut und in die Niederlande transportiert, um im Kunst- und Skulpturenpark der Stiftung Fraeylemaborg in Groningen fünf Jahre lang die Geschichte der Fuggerei spürbar zu machen. In der knapp 235.000 Einwohner zählenden Stadt soll nach ihrem Vorbild eine Wohnanlage entstehen.
Fuggereien der Zukunft
In Zeiten von Wohnungsnot, Klimakrise, sozialer Ungleichheit und Isolation gewinnt das auf Nachhaltigkeit ausgerichtete und auf den Menschen bezogene Konzept der Fuggerei an Aktualität. Für die Ausstellung haben MVRDV und die Fugger-Stiftung die bestehende Anlage in Augsburg untersucht und – in Anlehnung an den neu verfassten "Fuggerei-Codex" – deren Formel für erfolgreichen sozialen Wohnungsbau destilliert. Das Ergebnis sind acht einfache Bausteine, welche die Grundlage für ein weltweit an unterschiedliche Kontexte anpassbares System für neue Fuggereien bilden.
Auf dieser Basis entwickelte MVRDV drei Vorschläge für Fuggereien innerhalb und außerhalb Europas. Der erste wird für die Heimatstadt Augsburg vorgeschlagen und unterscheidet sich von der ursprünglichen Fuggerei durch seinen Bildungsschwerpunkt, der Selbstbestimmung ermöglichen und das Wohlstandsgefälle in der Stadt durch Bildung zu verringern soll. Die zweite Fuggerei der Zukunft ist für eine Gemeinde im ländlichen Litauen bestimmt. Der Komplex in einer wunderschönen natürlichen Umgebung konzentriert sich auf die Altersarmut und die Krise in der Sozialfürsorge aufgrund einer alternden Bevölkerung. Die dritte Fuggerei konzentriert sich auf Rothumba, ein abgelegenes Fischerdorf in Sierra Leone, in dem die Bewohner gestärkt und für Frauen und Kinder ein sicheres Umfeld geschaffen werden soll. Auf der Grundlage des Fuggerei-Codes und der in der Studie entwickelten Bausteine ändert sich das Erscheinungsbild dieser künftigen Fuggereien mit ihrem Zweck und ihrem Standort, doch die Grundsätze sind die gleichen wie beim 500 Jahre alten Original.
Der Fuggerei-Code
Der Fuggerei-Code wurde erstmals zum Jubiläum 2021 formuliert und lautet: "Dieser Ort ist ein kuratierter Lebensraum für die Ewigkeit. Für eine minimale spirituelle und monetäre Gegenleistung ermächtigt die Stiftung Bedürftige in der Region, ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen. Das Konzept der Fuggerei setzt Maßstäbe seit 1521." Der Fuggerei-Code fasst so die besonderen Eigenschaften der Fuggerei zusammen und ist die Basis für ihr zeitloses, erfolgreiches Wirken. Zugleich ist der Fuggerei-Code eine Anleitung, wie weitere Fuggereien – auch in anderen Ländern und Kulturen – entstehen können.
Eine solche "Fuggerei der Zukunft" kann überall auf der Welt entstehen und individuell aussehen. Aber sie folgt immer dem Code und ist damit eine Antwort auf sieben globale Herausforderungen: Selbstbestimmung und Würde stärken, Bedürftigkeit meistern, Humanistische Werte garantieren, Nachhaltigkeit erzeugen, Lebensraum schaffen, Spiritualität entwickeln und Sicherheit geben.